„10 Jahre Wettbewerb im deutschen Telekommunikationsmarkt“

Am 9. Mai 2007 veranstaltete der ZfTM e.V. unter Leitung von Prof. Dr. Torsten J. Gerpott eine Tagung, die dem Thema „10 Jahre Wettbewerb im deutschen Telekommunikationsmarkt – Anbieterstrategien und Regulierung im Rück- und Ausblick“ gewidmet war. Die „runde“ Zeitspanne von 10 Jahren seit dem Start der vollständigen Wettbewerbsöffnung des Marktes für Telekommunikations(TK-)dienste in Deutschland und dessen Entwicklungsprozeß waren der Anlaß, um bei dem Event mit neun hochrangigen Mitgestaltern dieses Marktes als Referenten die Evolution des Geschäftes aus betriebswirtschaftlichen und regulierungsökonomischen Perspektiven zu analysieren. Zum einen wurden in der Veranstaltung zentrale wettbewerbsstrategische und regulatorische Veränderungen im deutschen TK-Sektor im Rückblick reflektiert. Zum anderen wurden zukunftsgerichtet betriebswirtschaftliche und wirtschaftspo-litische Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.

Auf der Zuhörerseite nahmen an dem Workshop im Gerhard-Mercator-Haus der Universität Duisburg-Essen ca. 70 Teilnehmer aus der Unternehmenspraxis und der Wissenschaft sowie ausgewählte Studierende der Mercator School of Management teil. Aufgrund einer hohen Nachfrage für die Veranstaltungsteilnahme wurde die ursprüngliche Begrenzung der Zuhörer-zahl abgeschwächt und so der Teilnahme einer größeren Anzahl von Interessenten an der Veranstaltung gesichert. Wenngleich mußten mehrere Anfragen für die Workshopteilnahme abgelehnt werden.

Im Auftaktvortrag strukturierte Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, wissenschaftlicher Leiter des ZfTM e.V., die Evolution der TK-Marktliberalisierung in Deutschland und zeigte Perspektiven für erfolgversprechende Regulierungs- und Anbieterstrategien auf. Auf dem deutschen Festnetzmarkt, der einerseits durch schrumpfende Sprachtelefonieumsätze und andererseits durch einen Boom bei Breitbandanschlüssen geprägt wird, sah Prof. Gerpott als zentrale regulierungs-strategische Themen (1) Interconnection-Prinzipien in IP-basierten Next Generation Networks (z.B. „Bill and Keep“), (2) Zugang zu Teilen der TAL wie z.B. Bitstream oder Kabelkanäle zwischen HVt und Kabelverzweiger (VDSL2-/Innovationsregulierung) und (3) Kompetenzverteilung zwischen nationalen und supranationalen Institutionen (EU „Framework Review“). Als wettbewerbsstrategische Festnetzthemen der Zukunft führte er Next Generation Networks („Konvergenz 2.0“), Glasfaserausbau (fast) bis zum Privatkunden, IPTV/Triple Play-Wettbewerb sowie Grenzen der Breitbandpenetration an. Für Mobilfunkmarkt prophezeite Prof. Gerpott trotz oder wegen des schwindenden SIM-Kartenabsatzwachstums erhebliche Veränderungen (1) bei der Regulierung von „Mobile Termination Charges“ und „International Roaming“, (2) durch Konsolidierung von Service Providern und/oder die Erschließung neuer Distributionspartner, (3) durch die Diffusion von mobilen Internet-Diensten und von „mobilem TV“ (DMB, DVB-H, DXB etc.), (4) in der Long Term Evolution (LTE) von UMTS mit oder ohne WiMAX-Plattformen (IEEE 802.16e), (5) durch die Substitution von Festnetzzugängen durch Mobilfunk(daten)anschlüsse, (6) durch „echte“ Konvergenzdienste Mobilfunk – Festnetz, und (7) durch die anstehende Frequenzre-allokation/-nutzungsflexibilisierung (UMTS-Erweiterungsband, GSM-1800-Spektrum, WLL-Spektrum, Nutzungsflexibilisierung GSM-900/-1800-Spektrum).

Im Anschluß an den Auftaktvortrag durfte der Förderkreis ZfTM e.V. den Gründungspräsidenten der damaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP; seit 2005 Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA)) und Managing Director bei Credit Suisse Securities (Europe) Ltd., Prof. Klaus-Dieter Scheurle, begrüßen. Unter dem Titel „10 Jahre der Marktliberalisierung – Entwicklung des deutschen Telekommunikationsmarktes seit 1998“ faßte Prof. Scheurle ausführlich die Ergebnisse des Liberalisierungsprozesses zusammen. Dieser führte auf dem heimischen TK-Markt zu anfangs kontinuierlich steigenden Umsätzen mit TK-Diensten und anschließend zu einer Umsatzstagnation. Der Umsatzanstieg brachte jedoch keine nennenswerte Schaffung neuer Arbeitsplätze. Für den Endkunden brachte die TK-Marktöffnung signifikant sinkende Preise und Produktinnovationen. Im deutschen Festnetzmarkt erreichten die Wettbewerber der Deutschen Telekom Ende 2006 einen Marktanteil von 17,2 Prozent an der Gesamtzahl aller Telefonkanäle. Auf dem deutschen Mobilfunkmarkt wurde 2006 erstmals eine Penetrationsrate von über 100 Prozent erreicht. 2006 war eine weitere Verschiebung der SIM-Kartenmarktanteile zu Gunsten der kleineren Netzbetreiber E-Plus und O2 Germany zu beobachten.

Während Prof. Scheurle eher bisherige Entwicklungen auf dem TK-Markt in Deutschland in den Vordergrund rückte, entwickelte Martin Gutberlet, Vice President bei Gartner Research, Prognosen und daraus resultierende strategische Handlungsempfehlungen für Carrier. Das Jahr 2007 wird nach Gutberlet geprägt durch fortführende Preiskämpfe im Mobilfunk, signifikant sinkende mobile Datendienstepreise sowie attraktive Bündelangebote. DSL und IPTV werden den Umsatzrückgang im klassischen Festnetz nicht aufhalten können. Die Substitution von Sprachverbindungen aus Festnetzen durch Mobilfunkverbindungen wird insgesamt nicht zu Umsatzsteigerungen in Deutschland führen. Für den mobilen Datenverkehr wird in den nächsten Jahren eine Vervielfachung erwartet. Der Wettbewerb wird sich über Produkte, Dienste und Kundenzugänge, und nicht über Infrastrukturen entscheiden. Abschließend präsentierte Gutberlet zwei Beispiele von innovativen TK-Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf WebTV (Streaming, Peer to Peer) mit Werbung bzw. kostenlosen Sprachminuten plus SMS-Werbung basieren.

Eckhard Spoerr, Vorstandsvorsitzender der freenet AG, adressierte in seinem Vortrag die Frage „Netzbetreiberunabhängige Diensteanbieter im Mobilfunk- und DSL-Geschäft – Wohin geht die Reise?“. Sinkende Kunden- und Umsatzanteile der Service-Provider als „traditionellen“, netzbetreiberunabhängigen Diensteanbietern auf dem Mobilfunkmarkt und steigendes Interesse der Netzbetreiber an der Kontrolle von Vertriebskanälen gefährden das Geschäftsmodell der Service-Provider. Ihr Geschäftsmodell muß laut Spoerr deshalb weiterentwickelt werden. Hierzu gibt es nach Spoerr drei Stoßrichtungen: (1) Service-Retailer, (2) No-frills-Discounter und (3) Mobile Virtual Network Operator (MVNO). Netzbetreiberunabhängige DSL-/Internetanbieter sind heute durch die Vermarktung der Leistungen unter eigenem Label, volle Vertriebsunabhängigkeit, Differenzierung über Tarif- und Produktgestaltung gekennzeichnet, die ihnen eine große Gestaltungsräume zur Fortentwicklung des Geschäftsmodells ermöglichen. Sie positionieren sich gegenüber dem Kunden als Quasi-Netzbetreiber und entwickeln sich dadurch zum Komplettanbieter. Für die freenet AG hielt Spoerr eine Repositionierung in Richtung auf eine MVNO-Rolle für angebracht.

Thorsten Dirks, CEO der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG, bereicherte die Tagung mit seinen Ausführungen zum Thema „Wettbewerbsveränderungen und Perspektiven im Mobilfunk – Die Sicht eines Herausforderers“. Sinkende Preise, hohe Kundenbindungskosten sowie ungleiche Wettbewerbsbedingungen kommen in der Strategie eines Herausforderers wie E-Plus zum Ausdruck durch (1) ein schlankes Geschäftsmodell mit Konzentration auf Sprache & SMS, (2) den Abbau von Handysubventionen/SIM-only-Angebote und die Stärkung eigener Vertriebskanäle/Regionalisierung, (3) neue Vertriebswege/Wholesale-Partnerschaften, (4) Outsourcing des Netzbetriebs und bedarfsorientierten Netzausbau sowie (5) Bemühungen um regulierungspolitische Veränderungen (z.B. asymmetrische mobile Terminierungsentgelte). Die Strategie von E-Plus zielt auf Wachstum in einem gesättigten Markt durch Akquisition von Kunden der Wettbewerber und die Substitution von Gesprächsminuten aus dem Festnetz. Den Erfolg der Strategie belegte Dirks mit den Kennzahlen Kundenwachstum (+18% im Jahr 2006 auf 12,7 Mio. Kunden), EBITDA-Anstieg (+34% im Jahr 2006 auf 905 Mio. Euro) sowie Serviceumsatzexpansion (+10% im Jahr 2006 auf 2,7 Mrd. Euro).

Den Nachmittagsteil der Veranstaltung leitete Carsten Ahrens, Geschäftsführer der Ericsson GmbH, mit seinem Vortrag „Strategieveränderungen und Wachstumsaussichten von großen TK-Ausrüstern im deutschen TK-Markt: Erfahrungen von Ericsson“ ein. Im ersten Teil seiner Präsentation ging er auf Chancen aus der Perspektive von Ausrüstern ein, die er in einer kontinuierlichen Aufrüstung von TK-Netzwerken für den festen und mobilen Breitbandzugang, Next Generation All-IP Networks, Fixed-Mobile- und Medien-Konvergenz sowie der Unterstützung von Netzbetreibern bei der Bewältigung ihrer Betriebsaufgaben sieht. Herausforde-rungen sind der Preisverfall für Netzelemente sowie die Ausweitung des traditionellen (Carrier-)Geschäftes auf neue Mobilfunkdiensteanbieter sowie Internet- und Medienunternehmen. Im zweiten Teil wurde nach einer kurzen Schilderung der Unternehmensgeschichte von Ericsson die Zukunftsstrategie des Unternehmens dargestellt, die sich auf die Weiterentwicklung der Positionierung im Multimediasektor konzentriert.

Dietmar Schickel, Geschäftsführer Tele Columbus GmbH, erläuterte in seinem Vortrag die Evolution und Perspektiven der Kabelnetzbetreiber in Deutschland am Beispiel von Tele Columbus. Dieses Unternehmen bietet seinen Einzelkunden, der Wohnungswirtschaft und den Mietern, eigene Telefonie- und Internetpakete (Triple Play) sowie Quadruple Play-Bündel (zusätzlich Mobilfunk) an. Der steigende Wettbewerb im Kabelmarkt sowie Angriffe seitens herkömmlicher Festnetz-Carrier mit IPTV auf das angestammte Kerngeschäft Fernsehversorgung führen zu folgenden Handlungszwängen für Kabelnetzbetreiber: Neben dem analogen und digitalen Fernsehangebot sind neue Dienste wie Internet und Telephonie (Triple Play) unabdingbar. Quadruple Play spielt in derzeitigen Überlegungen von Kabelnetzbetreibern allerdings noch eine untergeordnete Rolle. All IP (z.B. auf Basis EURO DOCSIS3.0) ist dagegen eine wichtige Option für die weitere Entwicklung ihrer Netze. Kabelnetzbetreiber haben sich auch durch die Nähe zum Kunden und den Service im Wettbewerb zu differenzieren.

Im Anschluß präsentierte Alexander Kmita, Geschäftsführer der osnatel GmbH, Wettbewerbsstrategien eines Regional-Carriers im Breitbandgeschäft. In seinem Vortrag „Ist die Glasfaser bis zum Endkunden der nächste Schritt?“ erläuterte Kmita, daß in Zeiten der Stagnation der Zahl der Festnetzsprachkanäle und -minuten, einer positiven Entwicklung bei der Zahl der Mobilfunkkanäle und -minuten sowie der steigenden Bedeutung von VoIP auch für Regional-Carrier ein Angebot von attraktiven VoIP-Diensten sowie (optional) Mobilfunkanschlüssen unabdingbar ist. Nach Kmita zielt die Strategie der EWE TK-Gruppe auf die Bündelung von Diensten, die zur Steigerung des Umsatzes pro Kunde führen. Eine erfolgreiche Kundenbindung ist durch Individualisierung von standardisierten Dienstebündeln mit Hilfe von Zusatzangeboten realisierbar. Die Umsetzung von Triple Play erhöht die technischen Anforderungen an das Zugangsnetz. Dies kann unter bestimmten Rahmenbedingungen dazu führen, daß ein Glasfaserausbau bis zum Kabelverzweiger oder Endkunden wirtschaftlich sinnvoll wird.

Den Abschlußvortrag „Don’t wait to innovate - transform your business now!“ übernahm Lothar Geuenich, Head of Global Telecom Markets Germany bei BT (Germany) GmbH & Co. OHG. Für den TK-Markt heute und morgen sind nach Geuenich konvergente Dienste erforderlich, die professionelle Dienstleistungen, Netzwerk- und IT-Produkte integrieren. Eine solche Integration setzt wiederum konvergente Netzwerke voraus. Der weitere Schwerpunkt der Präsentation lag auf TK-Outsourcing-Strategien von Unternehmen. Beweggründe für eine Verlagerung des Betriebs von Corporate Networks auf Dienstleister wie BT sind die Reduktion von Betriebskosten, der Abbau technologischer Risiken, die beschleunigte Einführung von Diensteinnovationen sowie eine Kostenflexibilisierung.

Aufgrund des sehr positiven Feedbacks seitens der Teilnehmer und der Referenten zum Verlauf der achten Tagung dieser Art wird der ZfTM e.V. auch im 2. Quartal 2008 einen Workshop anbieten. Die thematische Ausrichtung dieser Veranstaltung wird im 4. Quartal 2007 fixiert. Themenvorschläge können ab sofort bei Frau Mahmudova () eingereicht werden.