"Die TK-Wirtschaft in Deutschland am Beginn des 2. Liberalisierungsjahrzehntes – Stagnation oder Innovation?"

Am 6. Mai führte das ZfTM e.V. unter Leitung von Prof. Dr. Torsten J. Gerpott eine Konferenz zum Thema „Die TK-Wirtschaft in Deutschland am Beginn des 2. Liberalisierungsjahrzehntes – Stagnation oder Innovation?“ durch. Ausgangspunkt der Veranstaltung war die Beobachtung, daß es auf TK-Dienstemärkten einerseits Bereiche (z.B. DSL-Geschäft) mit raschem Wachstum und positiven Einschätzungen ihrer wirtschaftlichen Aussichten gibt, aber andererseits parallel Marktarenen wie klassische Sprachtelefonie aus Festnetzen mit eher düsteren Perspektiven anzutreffen sind. Zudem findet man Felder wie etwa TV auf Basis des Internet Protocol (IP) oder mobile Datendienste, für die Prognosen ihrer kommerziellen Entwicklung stark divergieren. Diese heterogenen Trends waren Anlaß, um beim 9. ZfTM-Workshop in acht Vorträgen zu diskutieren, wie aktuell erfolgreiche Wettbewerbsstrategien von TK-Diensteanbietern segmentspezifisch zu gestalten sind und wie die Anbieter durch einen adäquaten Regulierungsrahmen unterstützt werden können. Diese Themen beleuchten renommierte Sprecher aus der Unternehmens- und Regulierungspraxis für rund 80 Zuhörer beim 9. ZfTM-Workshop im Gerhard-Mercator-Haus in Duisburg.

Die Veranstaltung wurde durch den Gastgeber und Vorsitzenden des ZfTM e.V., Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, mit dem Vortrag „Wachstumsstrategien für TK-Netzbetreiber zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ eröffnet. Im Vordergrund des ersten Teils des Vortrags standen internationale „makroskopische“ Wachstumsperspektiven. So zeigte Gerpott auf, daß in Westeuropa die Umsätze mit Telefonfestnetzdatendiensten weiter überdurchschnittlich zunehmen, wohingegen sich die Umsatzverluste im Geschäft mit „klassischen“ schmalbandigen Telefonanschlüssen/-verbindungen eher noch beschleunigen. Im Bereich der Breitbandanschlüsse für Festnetze prognostizierte der Referent für Deutschland noch ca. bis 2011 ein merkliches quantitatives Wachstum. Im deutschen Mobilfunkmarkt besteht nach Gerpott die Wachstumsherausforderung darin, den Umsatz pro Kunden durch neue Dienste oder durch eine stärkere Verdrängung schmalbandiger Festnetztelefonie zu steigern. Insgesamt stufte Gerpott die Wachstumsperspektiven für westeuropäische TK-Netzbetreiber, die noch nicht über einen starken „footprint“ außerhalb der OECD-Länder verfügen, als eher düster ein. Der zweite Teil des Vortrags war den nationalen „mikroskopischen“ Wachstumsperspektiven in Deutschland gewidmet. Gerpott setzte sich hier mit dem IPTV-Geschäft in Deutschland, mit Fiber-To-the-Home-Strategien alternativer Festnetz-Carrier sowie Optionen für Mobilfunknetzbetreiber zur Wettbewerberverdrängung auseinander.

Dr. Iris Henseler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Tele-kommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA), befaßte sich in ihrem Referat mit der Frage des optimalen Weges für die „TK-Regulierung zwischen nationaler Eigenständigkeit und eu-ropäischer Harmonisierung“. Hierbei analysierte sie insbesondere den von der EU-Kommission in deren „Review“ des Regulierungsrahmens für elektronische Dienstemärkte im No-vember 2007 auch offiziell eingebrachten Vorschlag, die EU-Kompetenzen bei der Regulierung von TK-Märkten auszuweiten und damit verbunden auch mit der „European Electronic Market Communication Authority (EEMCA)“ eine neue europäische Behörde zu schaffen. Henseler-Unger lehnte die EEMCA-Einrichtung u.a. deshalb ab, weil sie wegen fehlender größerer grenzüberschreitender Regulierungsfragen nicht erforderlich sei. Als Alternative favorisierte die BNetzA-Vizepräsidentin eine Stärkung der nationalen TK-Regulierer durch Schaffung eines „Body of European Regulators in Telecom“ (BERT).

Bernd Wirnitzer, Bereichsleiter Onlinedienste bei Arcor AG & Co. KG, ging im Folgevortrag auf das Thema „Arcor-Digital TV – Das Fernsehen der Zukunft“ ein. Nach Wirnitzer ist digitales Internet-Protokoll-basiertes Fernsehen (IPTV) über DSL der Einstieg eines etablierten Festnetz-Carriers in TV- und Videodienste sowie eine Plattform für innovative Breitbanddienste. Arcor habe auf eine hohe Kundennachfrage nach Flexibilität und Selektivität im Fernsehkonsum mit seinem Produkt „Arcor-Digital TV“ reagiert. Es beinhaltet ein breites Angebot an Free- und Pay-TV-Sendern und verfügt über einen elektronischen Programmführer. Außerdem ist es mit einer Timeshift-Funktion ausgestattet, die einen individuell gestalteten Start von Sendungen jeweils während ihrer Ausstrahlung ermöglicht. Arcor plant eine Angebotserweiterung um einen lokalen Videorekorder, Video on Demand-Abonnements und interaktive Funktionen (z.B. Shopping oder Voting). Bis Ende 2008 rechnet Wirnitzer damit, daß sein Unternehmen mit IPTV 12 Mio. Haushalte und 1,4 Mio. Bestandskunden erreichen kann.

Das nächste Referat, das von Dr. Hans Konle, Vorsitzender der Geschäftsführung der M-net Telekommunikations GmbH, gehalten wurde, erläuterte die „Glasfaser bis zum Endkunden“ – Strategie des Regional-Carriers M-net. Eine stetige Zunahme des Bedarfs an hohen Bandbreiten rechtfertigt nach Konle die Investitionen in ein neues Breitbandnetz. Mit „Fiber to the Building“ (FTTB) will sein Unternehmen Bandbreiten von 1.000 Mbit/s pro Gebäude liefern. Beim Netzausbau hat sich M-net für die Gigabit Passive Optical Network (GPON)-Technologie entschieden. Für diese Technologie sprechen u.a. die gute Ausnutzung der Glasfaserressourcen, hohe Bandbreiten, die Möglichkeit der Übertragung von Fernsehsignalen und Datenverkehr auf der gleichen Faser sowie eine einfache Ausbauplanung. Beim Glasfasernetzausbau orientiert sich die M-net stark an den Anforderungen der Immobilienwirtschaft, berücksichtigt aber auch die Dichte von Wohneinheiten, die Wirtschaftlichkeit der Anbindung an bereits aufgebaute LWL-Infrastruktur, spezifische Kosten der Tiefbauarbeiten sowie die Zahl der Wohnnungseigentümererklärungen.

Den Vormittagsteil der Veranstaltung schloß Klaus Böhm, Senior Manager Medien der Deloitte Consulting GmbH, mit dem Vortrag „Next Generation TV – Wettbewerbsstrategische Implikationen neuer Techniken und Geschäftskonzepte für TK-Netzbetreiber“ ab. Nach Böhm werden IPTV und Mobile TV die Zukunft der TK-Unternehmen maßgeblich beeinflussen. Entscheidend für den IPTV-Erfolg sind gemäß Böhm die Formulierung einer adäquaten In-haltestrategie (Mehrwert über Exklusivität und Vielfältigkeit), die Ausarbeitung einer konkreten Preis-/Konditionenpolitik, der Aufbau von Endkundenbeziehungen (Entwicklung von Modellen zum gemeinsamen Management der Kundenbeziehung zwischen Inhalteanbieter und IPTV-Anbieter), die Einführung interaktiver Mehrwertdienste sowie die benutzerfreundliche Gestaltung der Kundenschnittstelle. Speziell für Mobile TV konnte Böhm nur ein weites Spektrum unterschiedlicher Entwicklungsmöglichkeiten andeuten, da sich die Marktsituation in Deutschland infolge des Eintritts eines neuen Plattformbetreibers (Mobile 3.0) ohne Beteiligung der Mobilfunknetzbetreiber überaus komplex darstellt.

Nach der Mittagspause trug Renatus Zilles, Vorsitzender der Geschäftsführung der NEXT ID GmbH, zum Thema „Wettbewerbsstrategien und -perspektiven im deutschen Mehrwert-dienstemarkt“ vor. Angesichts einer zunehmenden Marktsättigung bei allen „klassischen“ Mehrwertdiensten, einer hohen Wettbewerbsintensität mit dramatischen Margenverfall und damit verbundenem Konsolidierungsdruck auf der Anbieterseite und unklarer Potenziale bei mobilen Mehrwertdiensten kam Zilles zu dem Schluß, daß dem Mehrwertdienstemarkt in Deutschland insgesamt keine neue Wachstumswelle bevorsteht. Immerhin bieten aber die „Megatrends“ Digitalisierung und Konvergenz Mehrwertdiensteanbietern aber einige Chancen für neue Geschäftsfelder und -modelle.

Anschließend präsentierte Dr. Bernd Sörries, Director Corporate Affairs der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG, „Regulatorische und betriebswirtschaftliche Strategien zur Wettbewerbsintensivierung“. Sörries setzte sich dabei insbesondere mit den wettbewerbsstrategischen und -politischen Implikationen der ungleichen GSM-Frequenzausstattung der vier deutschen Mobilfunknetzbetreiber im 900 MHz und 1,8 GHz-Bereich auseinander. T-Mobile und Vodafone D2 verfügen in Deutschland im Bereich von 900 (1800) MHz jeweils über ein 12,4 (5) MHz gepaartes Spektrum. E-Plus und O2 Germany haben zwar je 17,4 MHz-Spektrum im 1800 MHz-Bereich, jedoch nur 5 MHz im 900 MHz-Fenster zur Verfügung. Dieser Ausstattungsunterschied hatte bislang für die E-Netzbetreiber erhebliche Kostennachteile beim Aufbau ihrer GSM-Netze zur Folge, weil diese Unternehmen, frequenzlagebedingt, eine deutlich größere Anzahl von GSM-Basisstationen zur errichten hatten als ihre Konkurrenten T-Mobile Deutschland und Vodafone D2Sörries wies darauf hin, daß dieser Nachteil auf dem UMTS-Markt in Deutschland transferiert werden könnte, wenn die EU-Kommission es ermöglicht, die bisher für GSM reservierten Frequenzbänder zukünftig auch für UMTS-Dienste zu nutzen. Er schlug deshalb vor, die angedachte Nutzungsflexibilisierung der GSM-Frequenzen in Deutschland mit einer Umverteilung des 900 MHz-Spektrums in Richtung auf eine gleiche Frequenzausstattung aller vier Konkurrenten mit 900 MHz-Frequenzen zu verbinden.

Martina Effmert, Geschäftsführerin der moconta GmbH & Co. KG, diskutierte im Abschlußvortrag die Fragestellung „Mobile Virtual Network Operator Enabler – Ist ihre Zeit jetzt endlich gekommen?“. Sie führte aus, daß Mobilfunkbetreiber auf der Suche nach neuen Wegen seien, um Kundensegmente außerhalb des primären Zielmarktes zu erschließen. In dieser Situation besteht das Moconta-Geschäftskonzept als „Mobile Virtual Network [Service] Enabler (MVNE)“ darin, Unternehmen mit starken Marken dabei zu unterstützen, ihren Kunden Mobilfunkdienste in Verbindung mit der jeweiligen Marke anzubieten. Netzpartner von Moconta ist Vodafone D2. Mit diesem Konzept konnte die BILD-Zeitung als Kunde gewonnen werden, die wiederum ihrerseits durch Mobilfunkdienste ihre Leser stärker an die eigene Marke zu binden und zusätzliche Deckungsbeiträge zu erwirtschaften versucht.

Zahlreiche positive Rückmeldung zur Veranstaltung sowohl seitens der Zuhörer als auch Referenten sind für das ZfTM e.V. der Anlaß, auch im 2. Quartal 2009 die Tradition der jährlichen Workshops fortzusetzen. Thematische Vorschläge sind unter willkommen.